Freitag, 03.10.2008

Freiheit der Töne, durch nichts aufzuhalten!

Jena. (tlz) Am heutigen Sonnabend wird in Jena die 15. Thüringer Jazzmeile eröffnet: Mit einer szenisch-musikalischen Performance erinnert der Jazz-Musiker und Komponist Frieder W. Bergner an die große musikalische Vergangenheit des Landes und stellt dieser reichen Tradition die Vielfalt der heutigen Thüringer Jazz-Szene gegenüber. Dazu hat er sich Weggefährten eingeladen. Bis Ende November stehen bei der Jubiläums-Jazzmeile mehr als 100 Konzerte in 20 Thüringer Städten auf dem Programm - von Bigband-Swing über Solo-Gitarren bis Elektro-Jazz (www. jazzmeile.org). Wir sprachen mit Frieder W. Bergner über den Auftakt.

Herr Bergner, spielen Sie zur Jazzmeilen-Eröffnung auf der Tuba?

Nein. Ich spiele ausschließlich auf der Posaune und singe ein Stück. Das ist vielleicht etwas ungewohnt ...

Sie waren doch mal Thüringer Sängerknabe.

Das stimmt.

Warum sind Sie ins Posaunenfach gewechselt?

Das war mehr oder weniger Zufall. Als Sängerknabe hatte ich auch Klavierunterricht bei einer Musikpädagogin und musste lauter Stücke spielen, die mir nicht gefallen haben. Die erste Jazz-Begeisterung kam dann mit fünfzehn, sechzehn. Auf der Oberschule hatte der Musiklehrer ein Blasorchester, und ich wollte gern Saxophon spielen. Aber die hatten schon genug Saxophone und brauchten eine Posaune. Da habe ich dann beim 1. Posaunisten der heutigen Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt Stunden genommen und später an der Dresdner Musikhochschule Posaune und Jazz studiert.

Kann man auf der Posaune auch Bach spielen?

Ja, aber das machen Silke Gonska und ich schon in einem anderen Programm. Da spiele ich ein Stück aus dem Weihnachtsoratorium und sie singt.

Zurück zur Jazzmeile: Sie eröffnen sicher nicht alleine.

Nein. Das wäre ja auch kontraproduktiv im Sinne des Themas "Weggefährten". Die Weggefährten sind in diesem Falle - ich fang´ mal mit der ältesten Generation an - zwei große, alte Herren der Rezitation und der Pantomime: Orge Zurawski und Harald Seime. Seime ist zwar kein Jazzer, aber ein Weggefährte des Jazz schon seit den 50er Jahren. Ich selbst habe ihn noch als Jugendlicher im Saalfelder Hof erlebt, wo er mit den Jenaer Oldtimers tolle Pantomime zu Jazzklängen gemacht hat. Es folgt die nächste Generation, zu der auch ich mich ein bisschen zähle: Wolfram Dix, ein Leipziger Schlagzeuger, mit dem ich seit über 25 Jahren musikalisch eng verbunden bin. Dann kommen Matthias Bätzel und Falk Zenker. Bätzel ist inzwischen einer der versiertesten Jazzpianisten Thüringens, ständiger Begleiter von Manfred Krug. Der Gitarrist Zenker hat seinerzeit bei mir an der Weimarer Hochschule studiert und ist erst nach einem abgeschlossenen klassischen Gitarrenstudium Jazz- und improvisierender Gitarrist geworden. Der Jüngste ist der ausgezeichnete Bassist Matthias Eichhorn.

Musizieren bei der Performance alle zusammen?

Die meiste Zeit, ja. Ich habe das Stück aber so konzipiert, dass jeder Musiker in einem Teilstück ein Solo gestalten kann.

Wie darf man sich diese Performance vorstellen? Klingen da von Bach bis Schütz alle großen Geister an, die mal in Thüringen komponiert haben?

In vierzig Minuten kann man keinen musikalischen Kosmos entfalten. Auf jeden Fall kommt Bach zu Gehör, sein "Air" in einer wunderschön jazzigen Bearbeitung mit Schlagzeug und Bass. Das Ganze ist ja in ein textliches Geschehen eingebettet, unter der Fragestellung, wo eigentlich in unserer Landschaft die Musik herkommt: Steigt sie herauf aus den Tälern? Sinkt sie herab von bewaldeten Bergen gleich dem Abendhauch, sich vermählend mit dem trauten Geläut der Kirchenglocken? Warum singt der Mensch? Woher empfängt er seine Melodien? Sein Herz hebt sich empor, alte Worte finden zu Tönen, loben Sonne, Sterne, Mond, preisen Liebe, Treue, Freundschaft ...

Danke, ich muss hier mal unterbrechen ...

Der erste Teil soll einen Einklang zwischen Musik und Landschaft herstellen. Dann geht´s in die Geschichte: Dreißigjähriger Krieg und Barock. Wie kommt es, dass in einer so furchtbaren, jammervollen Zeit, wo die Hälfte der Bevölkerung ausgerottet war durch Krieg und Krankheit, gerade der Barockstil entsteht, eine Musik, die jubelnder, brillanter, funkelnder eigentlich nicht sein kann? Als nächstes mache ich einen Zeitsprung und erinnere daran, dass Thüringen in der Nazizeit einen Gauleiter Fritz Saukel hatte, der die Saxophone verboten hat. Thüringen war das Land ohne Saxophone.

Sie nähern sich dann aber auch der Thüringer Jazzszene von heute?

Der letzte Teil ist speziell auf den Jazz zugeschnitten. Da versuche ich zu zeigen, was er mir im Herzen bedeutet.

Lässt sich das auch mit Worten sagen?

Bitte sehr: Freiheit den Tönen! Gleichheit den Instrumenten! Brüderlichkeit den Musikanten! Eine Musik, geboren aus dem Blues der Sklaverei, aus der Ungleichheit der Hautfarben, aus der Einsamkeit der Verschleppung. Genährt von den Blue Notes der Baumwollfelder und den treibenden Synkopen der Häuserschluchten, wuchert eine wilde Pflanze ...

Danke.

... Hypertrophie von entfesselnden Tönen, durch nichts aufzuhalten - der Klang des 20. Jahrhunderts ...

Danke, vielen Dank! Welchen Jazzstil bevorzugen Sie?

Ich bezeichne mich gar nicht mehr unbedingt und ausschließlich als Jazzmusiker. Mein Wunsch, Musiker zu werden, hat mit meiner Liebe zum Jazz begonnen, aber gleichzeitig waren mir die Beatles wichtig, Led Zeppelin, Uriah Heep, Jimi Hendrix und wie sie alle heißen.

Wenn Sie jetzt noch Jethro Tull nennen ...

Ja, natürlich, unbedingt.

... dann würde ich sagen: Jazzrock.

Genau. Ich habe von jeher versucht, das miteinander zu verbinden und liebe den Jazz besonders in seinen Auswirkungen auf Europa. Unsere europäische Musiktradition ist mir heute für meinen persönlichen Stil und meine Spielweise genauso wichtig wie das, was seit 80 Jahren von Amerika gekommen ist und uns alle inspiriert hat.

! Jazzmeile-Eröffnung: Sonnabend, 20 Uhr, Volksbad Jena

03.10.2008    Von Frank Quilitzsch

Thüringische Landeszeitung Verlag OHG